Dienstag, 11. September 2007

Regionale Utopien

Bei ZEIT Online ist ein Artikel von Prof. Unger zum Thema Regiogeld erschienen.

Prof. Brigitte Unger: Regionale Utopie

Es tut gut wenn Ökonom(inn)en wie Prof. Unger über den Tellerrand des gegenwartspräferierenden Homo Oeconomicus hinausblicken und den Blick für Utopien öffnen. Das Potenzial von Regiogeldern ist als Insel gesehen sicherlich beschränkt, aber in der Vernetzung vieler Regionalgelder könnte sich eine Regionalisierung als Balance zur Globalisierung durchaus gemeinwohlfördernd und klimaschonend auswirken.

Das Bezahlen von Angestellten und Arbeitern ist mit Sicherheit ein wichtiger Schlüssel in der Verbreitung des Regionalgeldes. Hier hat Herr Wünstel völlig recht. Mal sehen, ob es wieder mal einen mutigen Bürgermeister oder eine mutige Bürgermeisterin wie damals in Wörgl gibt. Je besser die Gemeinden, Unternehmen, Vereine und Verbraucher vor Ort zusammenarbeiten, desto größer ist der Nutzen für die Allgemeinheit.

Aber es kann doch wirklich egal sein, ob ein Gemeindemitarbeiter oder ein Mitarbeiter in einem Unternehmen mit Regiogeld bezahlt wird, oder? Es ist mittlerweile kein Einzelfall mehr, dass in Unternehmen durch das Umsatzplus mit Regiogeld Arbeit geschaffen wird.

Nun ist die zweite Frage, wie die Kaufkraft in einer Region erhöht wird und ob die Arbeit zusätzlich zustande kommt. Das kommt nun ganz darauf an, ob die Region in allen Branchen ausgelastet ist oder ob es noch Kapazitäten gibt. Prof. Unger weist zu Recht darauf hin, dass wir nicht im Paradies leben, wie so manche Elfenbeinökonomen vermuten würde. Wer seine Augen aufmacht, sieht allerorten Potenziale und Möglichkeiten. Vielleicht weniger in quantiativer Hinsicht, also von wegen 2 Autos, 2 Fernseher und so, sondern vor allem qualitativ ließe sich noch viel verbessern, also bessere Bildung, bessere Luft, weniger Lärm, weniger Transport. Die Nutzung dieser Potenziale hängt aber nicht davon ab, dass zusätzliches Geld geschaffen wird, schon gar nicht kreditinduziertes Geld, denn davon gibt es hierzulande eher zu viel als zu wenig.

Die Gesell'sche Argumentation zielt darauf, dass eine stetig hohe Umlaufgeschwindigkeit erreicht wird. Nicht mehr und nicht weniger. Beim Chiemgauer zeigt sich ein Anstieg der Umlaufgeschwindigkeit von 7 auf 20. Da wird der Apfel von 2003 mit dem Apfel von 2006 verglichen. Die höhere Effizienz beim Einsatz der vorhandenen regionalen Kaufkraft zeigt sich hier ziemlich deutlich.

Ein direkter Vergleich mit dem Euro ist hier natürlich auf den ersten Blick nicht so einfach. Was man aber machen kann, ist der Vergleich des Euro 2006 mit dem 1976 (das hat die Bundesbank netterweise schon umgerechnet). Oder man vergleicht sicherheitshalber die DM des Jahres 2000 mit der DM des Jahres 1970. Der Trend ist eindeutig, denn er zeigt stetig nach unten, sprich die Zentralbankwährungen werden immer langsamer.
In dem Zeitraum, in dem der Euro in der Umlaufgeschwindigkeit gesunken ist, ist die Umlaufgeschwindigkeit des Chiemgauer gestiegen.

Die gezielte Erhöhung des Geldumlaufs in schwachen Regionen und Branchen durch Maßnahmen der Umlaufsicherung ist zigfach besser als die Geldmengenaufblähung durch die Zentralbanken, um irgendwelche Bush-induzierten Krisen in den USA aufzuhalten.

Ökonomen müssen eine Antwort auf die Frage entwickeln, wie der langfristige Realzins auf die reale Wachstumsrate herabsinken kann, ohne dass es bei niedrigen Zinsen zu einer Liquiditätsfalle kommt. Eine stetige und stabile Umlaufgeschwindigkeit wäre hierfür eine hervorragende Voraussetzung. Der Regionalgeld-Ansatz á la Wörgl und Chiemgauer geben erste Hinweise, wie der Geldumlauf ohne Probleme auf ein stabil hohes Niveau erhöht werden kann. Das ist im wahrsten Sinne Ökonomie, nämlich mit wenig Geldmenge den fairen Austausch der Wirtschaft zu organisieren. Die Geldmenge dürfte demnach nur um die Wachstums- und Inflationsrate wachsen, sie wächst aber heute doppelt so stark. Wie kann man die Geldmenge um 10% erhöhen, wenn die Wirtschaft nominal nur um 5% wächst? Wie kann man das über Jahre und Jahrzehnte so betreiben? Die selben Ökonomen wundern sich dann, dass dieses viele Geld Unruhe stiftet: Erst eine giergetriebene Aufblähung der Märkte und dann eine angstgetriebene Zurückhaltung. Mit dem Zeigefinger zeigt die Notenbank auf die bösen Spekulanten und hat selbst das Geld gedruckt, mit dem diese jetzt spielen.

Regionalgeld hat nichts mit "Zinsverbot" zu tun, sondern mit einer marktgerechten, vernünftigen Gestaltungsmaßnahme durch Menschen, die sich selbst helfen. Beim Regiogeld wird das Geld durch gemeinsame Spielregeln im Umlauf gehalten. Durch die knapp gehaltene Geldmenge gibt es zwar kein Wachstumsfeuerwerk, aber dafür gibt es eine stabile langfristige Entwicklung. Auf einem freien Markt funktioniert ein solches regionales Netzwerk nur dann, wenn unter dem Strich die Wettbewerbsfähigkeit gesteigert wird. Das geschieht durch Synergien, die durch die Zusammenarbeit vor Ort entstehen.

Die Aufgabe der Ökonomen ist es, das Phänomen des Regionalgeldes nicht mit Vorurteilen zu belegen, sondern empirisch zu untersuchen, was an dem Ansatz dran ist. Wenn die Unternehmen mehr Umsätze machen, die Verbraucher ihren Spaß dran haben, der ein oder andere Mitarbeiter beschäftigt wird, dann lohnt sich diese Selbsthilfe allemal. Wenn dann noch hinzukommt, dass Regiogeldbesitzer bevorzugt in die Region investieren und auch mal mit 2% "Zins" (=Inflationsausgleich) zufrieden sind, dann werden das genau diejenigen genießen, die heute nach 10 und mehr Prozent Rendite trachten und dann mal zwischendurch Urlaub im schönen Chiemgau machen.